11:39. Nachdem ich mich krank aus dem Bett gequält habe, sitze ich nun im Genpool der Verdammten. „Starren“ ist nicht nur ein schönes Verb, sondern mindestens genauso faszinierend in seiner Ausführung. Niemand folgt dem zu folgenden. Im Folgenden sinkt zudem der Sauerstoffgehalt der Luft – wenn man sie noch so nennen kann – und lässt die Müdigkeit proportional ansteigen.
Der schwarzgekleidete junge Mann – wenn man ihn noch so nennen kann – macht mir ein wenig Angst. Es ist nicht seine, durch tote, grüne Menschen auf dem T-Shirt angezeigte Jenseitsverliebtheit, eher sein Schuhwerk. Vielmehr die Lücke über seinen Schuhen, hervorgerufen durch eine viel zu kurze Hose. Der Typ neben Herrn Hochwasser wurde von seiner Mutter eingekleidet, sein S. Oliver Pullover spricht zumindest Bände. Er scheint sich in seine Nachbarin verliebt zu haben, so wie er sie umgarnt. Eine Kommilitonin hat sie einmal mit einem sehr treffenden: „Oh mein Gott, lässt sie sich gehen“, umschrieben. Ich frage mich, ob ihre, sich mit der Ausdruckslosigkeit des Mobs paarenden Augenringe, auf Schlafmangel zurückzuführen, oder in einer durchzechten Tokio-Hotel-Convention-Nacht entstanden sind. Vorstellbar ist beides.
Langeweile schlägt in Apathie um. Das Starren wird unerträglich. Wie Arbeitslose, die betrunken darauf warten, dass der Hotbutton wieder zuschlägt. 23 Geldpakete. Lange wird es nicht mehr dauern, bis er wieder zuschlägt. 12:03. Es dauert noch 42 Minuten bis er zuschlägt.
Leben ist leiden. Wenigstens damit hat die Heidegger heute Recht. Ein Rhetorik- und Sprechtraining hätte ihr dennoch gut getan. Die Menge schweigt, bis auf ein paar einzelne Huster oder kurze Gespräche über die nächste Gelegenheit sich die Birne kaputt zu trinken, ist alles still.
Nirvana, verlöschen. Richtig erkannt, Heidi. Jetzt liest sie ab. Mmmh, „nihilistisch missverstanden“, schöner Ausdruck. Die Blicke hier missverstehen den Nihilismus nicht, sie lassen ihn erkennen.
Ich glaube das Mädchen mit Bart neben mir freut sich grade, dass ich すごくauf ihren Zettel gemalt habe. Hihi, der aussssm 3. Ssssemester schreibt wasss auf meinen Zsssettel. Schnauze. Huar, jetzt hat sie mich angeschaut. Ihr Auge blutet, „Das ist ja sssoo interessant.“ An ihrer Gestik kann ich Gott sei Dank ablesen, dass sie es nicht ernst gemeint hat. Sie soll endlich aufhören ihren Collegeblockreste abzureißen, damit alles vollzukrümeln und die Streifen aus den Ringen in den Mülleimer zu werfen, auf den ich meine Füße gestellt habe.
Buddha anrufen. Call 1-800-ENLIGHTMENT.
Höre ich jetzt auf zu schreiben, müsste ich zuhören, das will ich nicht. Also lasse ich meinen Blick wieder streifen. Vorbei an verkappten Schwulen, die sich freuen, in einer freien Stadt wie Marburg ihre Sexualität ausleben zu können. Dafür spricht ihre „Ich-fass-dich-an-der-Hüfte-an“-Polonese, gesehen letzte Astaparty.
Meine Blicke schweifen. Ich denke wieder daran, dass aus ihrem Rückenspeck – nein, nennen wir es Fett – irgendwann Flügel schlüpfen werden. Das dicke Mädchen hat „Ooops“ auf ihren Schuhen stehen. Elfenhafte Zentnerschwere. Da sie ihre Frühstücksgummibärchen schon verzerrt (ja, von „verzerren“) hat, nimmt sie ihre Fingernägel zur Hilfe. Das nun folgende Würgen versuche ich durch ein weiteres Salbeibonbon zu kompensieren und gewinne zum Vorteil aller den Kampf mit dem Ekel. Buddha-Brot wäre jetzt nicht schlecht.
Hihi, voll sssüüß. Das Mädchen-Trio vor mir schiebt Terror in Form von ssssüüßen Knuffelpuffelzeichnungen, die sie auf ihre Zettelchen malen, auf denen bestimmt nichts über Arschficken oder Schwänzeblasen steht.
Oder grade doch.
Wer weiß.
Ich nicht.
Wie so vieles.
Und nach dieser Vorlesung „Einführung in den Buddhismus“, bei dem ich Struktur zunächst bezweifelt und dann vermisst habe, ist es auch nicht viel mehr. Wir fahren doch alle nur in einem großen diamantenen Wagen gen Erleuchtung. Einige mehr, viele weniger.
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